Von Theresa Reichmann

Mit zerknittertem Karohemd und einer Tasse Kaffee zwischen den Fingern betritt der Kammerjäger des Monats das Büro vom Chef. Was würde nur geschehen? Magengrummeln und zitternde Hände erinnerten ihn an den Rausschmiss seines Lieblingskollegen. Nein, sowas tun sie nicht. Er arbeitet schon viele Monate in dem Betrieb.

„Lieber Herr Deut, heute vor zwanzig Jahren sind Sie zu uns gekommen und haben sich als wichtigen Teil der Community erwiesen. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle danken.“

„G… g… gerne.“ Zusammengebissene Zähne und heruntergezogene Mundwinkel. Schweißperlen tropfen wie Tränen über sein gekünsteltes Lächeln.

„Leider muss ich Sie dennoch etwas bitten.“ Der behäbige Mann erhebt sich und schreitet mit einem Kuvert, so groß wie eine Bärenfalle, auf ihn zu. „Unterschreiben Sie die Kündigung und verlassen Sie noch heute Vormittag die Zentrale.“

„A… aber… aber was hab ich nur…“

„Raus!“

 

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Ein Wasserfall aus Tränen strömt vom Himmel. Eine schwarze Katze auf der Straße. Herr Deut völlig durchnässt, den Kopf hängenlassend. Wie eine Mumie wandelt er durch die Gassen auf dem Weg zu seinem Heim. Einen kurzen Moment blickt er auf. Das Viech denkt scheinbar, es sei alleine auf dem Weg! Mit einem Tritt schubst er das haarige Untier in die Hecke am Rande des Gehsteigs. Daheim angekommen, hat er eine Idee. Mit den Klamotten in die Wanne. Licht aus, Kerzen an.

So viele Jahre – verschwendet. Dutzende Bekanntschaften – umsonst. Sein Körper schlottert im kühlen Wasser. Wer braucht schon Wärme? Liebe? Zuneigung? Wenn man einen Beruf ausüben kann, der das Herz zum Glühen bringt?

„H… h… heute packe i… ich es an. Jawohl, ich weiß die Lösung. I… ich mache mich selbstständig. Selbst ist der Mann. Scheiß auf die, sch… scheiß auf alle. Mit der Abfindung mache ich mein eigenes Ding.“ Hastig reißt er seine Klamotten vom Leib und kickt sie unter das Spülbecken hinein. Mit neuem Mut schwingt er sich in seinen Bademantel und gleitet über die Holztreppe ins Wohnzimmer. Sie knarzt, als ob sie jeden Augenblick einbrechen würde. Hat er die Eingangstüre offengelassen?

 

Das Tageslicht scheint durch den Spalt und malt Blumen auf den dunklen Wänden des Vorraumes. Was ist das für eine schwarze Spur am Boden? Ein greller Ton im Ohr lässt Herrn Deut aufhorchen. Doch dann wieder Stille. Keinen Meter bewegt er sich. Einbrecher? Räuber? Bei ihm kann man nichts finden, denkt er. Was würden sie hier suchen? Er nimmt seinen neu gewonnenen Mut zusammen und folgt diesen Abdrücken am Boden. Ein Klopfgeräusch hinter ihm. Geschwind dreht er sich um.

„W… w… wer ist denn da?“ Seine kräftige Stimme überrascht ihn und befreit ihn von Angst. Die nackten Füße heben sich kaum. Schweifen über den Flauschteppisch im Wintergarten. Ein Knall. Er zuckt zusammen. Augen weit aufgerissen. Starre. Was geschieht hinter der Küchentür? Zweifel und Sorgen übermannen seinen Geist und ziehen ihn in die Welt der Verzweiflung zurück. Behutsam legt er die Hand auf die Türklinke. Kaltes Eisen auf der Haut. Ein Windhauch. So Schluss jetzt mit der Zaghaftigkeit! Tief atmet er ein, schließt die Augen, öffnet sie wieder. Drückt den Griff herunter und stolpert in die Küche.

 

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Scherben überall am Boden verstreut. Kaputte Weingläser, zerbrochene Porzellanteller auf dem Esstisch. Vorsichtig hebt er die Tischdecke hoch. Noch mehr Geschirrruinen, aber niemand zu sehen. Doch… was ist mit den Tischbeinen geschehen? Hockend begutachtet Herr Deut das Möbelstück, welches er von seiner verstorbenen Mutter geschenkt bekommen hat. Komplett zerfressen und angenagt, fast schon auseinanderfallend.

„W… was ist das hier? Soll das e… ein Scherz sein?“
Er denkt nicht nach, sondern schlägt die Fäuste gegen die Wand. Die trockene Farbe bröckelt ab und gesellt sich zu dem Haufen Müll auf den Fliesen. Das kann nicht sein, das darf nicht sein! In diesem Moment drängt sich etwas Sonderbares in sein Ohr. Ein Geräusch, das er noch nie gehört hat. Ein Gestank nach verkohltem Holz gelangt in die Nase. Ruckartig dreht er sich um und sprintet ins Wohnzimmer. Es kommt von oben. Vorwärts. Wie eine Gazelle düst er über die Treppe, streift mit den Fingern übers Geländer und schafft es fast in den ersten Stock. Nur fast. Denn als ob er es geahnt hätte, knarzt die Treppe nicht mehr nur, nein, sie bricht auseinander. Eine Stufe nach der anderen kracht auf den Grund, die Brüstung bröckelt entzwei. Sie schießt wie eine Würgeschlange auf Jagd gegen die Wand, bis sie dann neben der Garderobe zum Stehen kommt.

Hitze durchströmt den Mann, lässt ihn schwitzen und schreien. Er hält sich an etwas fest, was ebenso zerfällt. Kreischen, Flehen und Rufen – alles bringt nichts. Denn seine feuchten Hände rutschen und wie befürchtet fällt er tief. Knallt auf seine linke Schulter, weint und gibt fast auf. Doch etwas in ihm will kämpfen. Etwas in ihm treibt an. Ist es die Neugier? Ist es die Wut?

Aus der Staubwolke trippeln hunderte Mäuse und Ratten, stinken wie die Kläranlage und türmen sich auf.

„W… w… was?“
Verdutzt nimmt er seinen Arm in die Hand. Dieser schmerzt, doch das hält ihn nicht auf.
„Diese V… Viecher!“, kreischt er und beobachtet. Was soll er jetzt tun? Wegrennen? Die Tiere werden immer mehr, sie tuscheln, als würden sie Mordpläne schmieden. Eine unangenehme Stille erfüllt den Raum. Sie fokussieren den Mann mit ihren stechenden Augen. Nehmen Anlauf und rasen auf ihn zu. Wegrennen will der Mensch, doch er stolpert. Weiter! Ich kann nicht mehr, denkt er sich. Sein Arm foltert ihn. Der Körper bringt ihn aus dem Gleichgewicht. Die Augen verschwommen. Im Kopf ist Chaos. Gleich hat das Ungeziefer ihn eingeholt. Nur ein paar Meter entfernt. Gibt er auf?

 

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Nein! Er eilt mit Mäusen und Ratten auf den Fersen durch die Küche, hinaus ins Freie, durch den Pavillon und durch die Hintertür hinein ins Haus. Da fällt ihm etwas ein. Scharfe Kurve nach rechts, durchs Bad und scharfe Kurve nach links. Vor ihm eine Türe. Er reißt sie auf, drückt sie von innen zu und schließt ab. Na endlich. Ein Knall gefolgt vom bebenden Eingang und dieser Ruhe, die ihm nicht geheuer ist, lässt Schlimmes vermuten. Er entflammt eine Kerze und durchsucht mit seiner gesunden Hand die Regale. Aha. Schadnagergift, elektrische Fallen und die giftigste Waffe überhaupt – der Begasungsgroßspray. Maske auf und jetzt Vollgas!

Aus der engen Kammer hinein in den Kampf. Er drückt auf Knopf und Zünder, lässt die Fallen los und wirfst alles, was ihm in die Quere kommt, in die Luft. Mit Gebrüll löst er die Sicherung und sprüht, was das Zeug hält. Wackelt hin und her, fällt fast um, trotzdem hört er nicht auf. Lachen.

„Ha! Hab ich’s e… euch d… doch gesagt! L… legt euch nicht mit mir an.“ Freudenschreie, Siegeslieder. Endlich hat er es geschafft. Er hat sie besiegt. Ja, nur er alleine, niemand sonst. Irgendwann wird der Chef schon merken, was für einen blöden Fehler er gemacht hat. Herr Deut schwankt, macht kehrt und will sich zur Feier des Tages ein feines Bier gönnen. Oder sollte er zuerst die Reperaturfirma anrufen?

„Autsch!“ Etwas klatschte auf seinen Schädel.

Er versteht, es ist noch längst nicht vorbei. Die Decke stürzt ein, der Schrank fällt um. Bumm. Aus den Löchern der Wände stürmen sie, von oben stürzen sie herab. Sie umzingeln ihn, umkreisen ihn. Jetzt war alles aus. Von allen Seiten nagt man an ihm, versperrt den Weg. Bis er etwas sichtet. Da vorne! Ein Feuerzeug. Seinen letzten Mut gräbt er aus der Höhle der Verzweiflung. Streckt seinen linken Arm nach vor zur Kommode. Nimmt den Schmerz in Kauf. Leid und Trauer hält ihn nicht mehr auf. Da knackt es in seinen Knochen.

„Verflucht, jetzt komm schon!“

Mit einem Ruck packt er den Anzünder, entwindet sich aus der Plage und rennt ein letztes Mal los. Es würde das Ende bedeuten. Doch für wen?
Unter dem Treppenhaufen versteckt sich eine Tonne. Schwer und unhandlich. Er löst den Deckel. Eine dicke Flüssigkeit tröpfelt auf den Boden. Er läuft in jedes Zimmer, lässt keinen Raum aus. Das Öl schwappt über Mäuse, Müll und Möbel. Reißt die Eingangstür auf und zögert. Soll er es durchziehen? Sein trautes Heim anzünden? Einfach so?

 

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„Ich lass mir sowas nicht mehr gefallen, von niemandem, auch nicht von euch!“ Mit diesem Satz lässt er los. Sein Haus und sein altes Ich. Es muss sein. Fenster speien Feuer, die Parasiten lodern auf und das Heim verbrennt. Herr Deut steht da und inhaliert seinen Sieg, hustet, lacht und weint zugleich. Ja, er hat es geschafft, aber zu welchem Preis?

Eine lange Zeit überlegt er und fragt sich warum. Mochte man ihn in der Arbeit nicht? Er hat doch immer alles getan, war stets pünktlich und bemüht. Und dann ist es so schnell vorbei. Er greift sich an die nasse Stirn, fühlt den Puls und empfindet Erleichterung. Trotz allem.

Er zückt sein Telefon und meldet sich bei seinem Ex-Chef.

„Ich wollte Ihnen nur sagen, ich bin wirklich wütend! Ich war immer für alle da, war der beste Mitarbeiter und das wissen Sie genau, Sie… Sie Idiot! Ich will Sie nie wieder sehen und überdenken Sie nochmal die mickrige Abfertigung! Ich habe mehr verdient.“
Das Handy fetzt er gegen die Gartenbank und dreht sich nicht mehr um. Vorerst würde er bei seiner Lieblingsschwester unterkommen und einige Dinge organisieren. Wo würde er wohnen? Was möchte er für eine Umschulung machen? Wie soll sein neues Leben aussehen? Es liegt in seinen Händen. Herr Deut weiß nun, er kann alles schaffen und mit Unterstützung umso mehr. Er erzählte ihr von dem Feuer, der Kündigung und den Geräuschen in seinem Haus. Ließ jedoch ein paar Kleinigkeiten aus. 😉